Liebster

Juliane Rautenberg


Ich muss Dich begraben, all meine Sehnsucht nach Dir, all meine Wünsche. Meine Haut schützt mich nicht mehr.

War ich vorher sehend, bin ich nun durch Salz erblindet, immer Dein Gesicht in meiner Stirn.

Als ich Dich traf, sprachst Du geisterhaft von Licht und noch mehr Licht.

Die Kopflosigkeit übernahm mich, ich konnte nicht ausweichen.

Glücklich, ohne zu wissen warum, ging ich in die Falle. Alles an Dir war schrecklich, Du dunkler abstoßender Magnet.

Als Du Deine Hand auf mich legtest wie auf einen guten Freund, wollte mein Atem versagen, mein Leben kapitulierte, so schnell verrinnt der Sinn.

In diesem Moment war mein Dasein ruiniert.

Dann folgte noch Dein Spiel.

Wir küssten uns auf dem Trümmerberg, nachts, ein großes Kreuz ragte in die mondlose Stille.

Ich küsste zum ersten Mal, merkte ich und spazierte nur dirigiert durch Deinen stechenden Blick, wie einer ersehnten Hinrichtung entgegen.

Überall wäre ich hingegangen oder von der Klippe gesprungen.
Machtlos hatte sich mein Wille abgenutzt.

Durch Deine glühenden Finger wurde ich zu rohem Fleisch.

Eine Kindersonne hattest Du auf meinen Rücken gemalt.

Und diese tiefste Freude, die Wärme aus dem innersten Erdkern, da wo sich nichts mehr dreht, da wo es nur noch ist, dieser unbändige Übermut des Glücks.

Und die Musik, das Grundrauschen der irdischen Glut, sprengte für einen Bruchteil ein Fenster in die Unendlichkeit, nah an der verbotenen Frucht.

Dann kam die Angst, ich war doch eingeschlafen, ich wachte auf, allein, in unauslöschlicher Panik.

Und mein Seelenfrieden war vorbei, für immer.

Meine Gedanken rasten umher, wie das Wetter um die Erde.

Ich sah Dich später, Du warst voller Freude um Dich selbst.

Der letzte Abend, Deine Frau stand weit entfernt.

Ein Handkuss nur von Dir, als ich ging, und Dein verstörendes Verlangen, mich ganz und gar zu bemalen.

Ich trank in meinem Zimmer, ich ertrank im Warten.

Ein Anruf, Dir gehe es gut.

Wieder warten, mein Vorhandensein war Schnee auf der Brandung.

Eine dunkle Erscheinung aus Gespinst besuchte mich, mit einem Goldstück, das zu Boden fiel, eine Sekunde lang, dann verwehte der Anblick.

Ich schrieb etliche Seiten nur mit Deinem Namen.

Jeden Deiner Sätze wendete ich zu einem Zeichen von Dir.

Menschen sah ich noch, ich hörte mich auch reden, aber nur Du hättest meinen Gesang deuten können. Langsam verschloss sich das Weltall, aus meinem Spiegelbild schaute mir der Wahn entgegen. Düstere Augen kreischten mich an, dass sie mich bald kriegen würden.

Fensterkreuze mahnten mich, und wandelnde Gestalten, die sonst niemand wahrnahm, gingen nachts in Fluren auf und ab.

Mein Herz schlug mich wie ein erstarrter Muskel und verströmte den Kummer in jeden Teil meines Körpers. Ich bat, nicht so ein bitteres Los haben zu müssen, alles will ich verlieren, nur Dich nicht.

Einige Jahre kämpfte ich mit diesen Elementen, dann gab ich auf.

Aber ich hatte Dir noch nicht gesagt, dass ich Dich liebe.

Verfolgt von gespenstischen Lichtern sah ich plötzlich alles in grellen Farben vibrieren, dem Untergang geweiht, nur sie wussten es noch nicht.

Dich nur sehen, einmal noch, dann wäre die Welt gerettet, und ich könnte endlich sterben.

Ich musste Dich erreichen, bevor das Verhängnis seinen Lauf nimmt, die Zeit raste gierig.

So fuhr und rannte ich zu Dir, mit dem Bangen um jedes Wesen, sonst hätte ich es nie gewagt.

Als ich Dich sah, warst Du ein Anderer, und ich ein Schatten.

Ich liebe Dich, und Deine Frau war sehr nett.

Es war vollbracht, das Leben würde weiter gehen.

Liebster, ich muss mich begraben.

Die gesamte Ausgabe 12 /2009 V2 [416 KB] gibts hier als PDF.

Über die Autorin

Juliane Rautenberg wurde als Schauspielerin durch ihre Rolle als Elke Dreher in der ZDF-Fernsehserie »Die Wicherts von nebenan« bekannt. Es folgte ein Engagement am Staatstheater Stuttgart sowie verschiedene Rollen in der weltweit ausgestrahlten Krimireihe »Derrick«. Im Jahr 1998 begann sie Philosophie, Politikwissenschaften und Theologie an der Humboldt-Universität Berlin zu studieren. Seit geraumer Zeit wendet sie sich außerdem dem Schreiben zu und veröffentlichte mehrere Kurztexte.